Wie viel Identität das Social Web stiftet und ob Facebook und Co. zum neuen Bindeglied der Gesellschaft werden oder gar bei der aktuellen Herausforderung der Integration unterstützen können, stellten am 1. Oktober 2015 die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (LPR Hessen) und die Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) beim 6. Hessisch-Thüringischen Mediengespräch in Frankfurt zur Diskussion.
Joachim Becker, Direktor der LPR Hessen, hob in seiner Begrüßung die Bedeutung der Sozialen Medien auch für politische Wandlungsprozesse hervor. Es sei nur fraglich, ob Social Communities auch geeignet seien, eine soziale Gemeinschaft zu fördern, auf die es angesichts der aktuellen Herausforderungen innerhalb Europas und innerhalb Deutschlands aber besonders ankomme.
Prof. Dr. Lutz M. Hagen von der Technischen Universität Dresden beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den Veränderungen im Medienangebot und in der Mediennutzung seit der Wende. Das Internet sei auf dem Weg zum Leitmedium. Die Bedeutung der Sozialen Medien nehme stetig zu, zumal sie für jüngere Nutzer auch als wichtige Nachrichtenquelle dienten. Problematisch sei dabei insbesondere die steigende ‚Kostenlos-Mentalität‘ im Netz, die eine Finanzierungskrise des Qualitätsjournalismus nach sich ziehe.
Mit der grenzenlosen Kommunikation in Online-Communities beschäftigte sich Prof. Dr. Caja Thimm, Universität Bonn. Sie stellte fest, dass Soziale Medien zunehmend unsere Alltagskommunikation dominierten und auch das Potential hätten, Verbindungen über Ländergrenzen hinweg zu schaffen. Dabei betonte sie, dass es nicht die eine, sondern viele Communities für sehr unterschiedliche Interessen geben würde. Sie plädierte dafür, im gesellschaftlichen und politischen Diskurs Soziale Medien ernst zu nehmen und als Kommunikationsmittel zu nutzen.
Dr. Jessica Heesen, Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe Medienethik der Universität Tübingen, legte den Fokus auf Gemeinschaft, Gemeinsinn und die Online-Gemeinde. Die online-Kommunikation ermögliche nicht nur die Partizipation, sie mache aus Nutzern ‚Produser‘ – Produzenten und User. Dies bedeute eine hohe Verantwortung eines jeden einzelnen Nutzers – auch im Sinne einer ‚Selbstregulierung‘. Auch sie betonte, dass es zwar nicht eine online-Gemeinde, sondern eine Vielzahl spezifischer Gemeinschaften geben würde, von denen nur ein Teil für die Öffentlichkeit relevant sei. Die virtuelle Kommunikation müsse aber auch als reale Auseinandersetzung begriffen und damit sehr ernst genommen werden.
In der abschließenden Podiumsdiskussion mit den Wissenschaftlerinnen Thimm und Heesen, mit Kersten A. Riechers (Agentur für Online-Kommunikation quäntchen + glück) und dem Chef der Hessischen Staatskanzlei, Staatsminister Axel Wintermeyer, wurde deutlich, dass Soziale Medien Identität und Gemeinschaft nicht per se schaffen würden. Minister Wintermeyer plädierte dafür, Social Media hinsichtlich der meinungsbildenden Funktion nicht zu überhöhen. Ein tatsächlicher politischer Austausch finde in den Communities kaum statt. Gleichzeitig appellierte er an die Medienkonzerne wie beispielsweise Facebook, ihrer hohen Verantwortung auch gerecht zu werden. Einigkeit bestand in der Runde der Experten über die Notwendigkeit, gerade die junge Nutzergeneration im Umgang mit dem Social Web so zu schulen, dass sie es für sich und die Gesellschaft positiv nutzen könnten.
In seinem Fazit verdeutlichte TLM-Direktor Jochen Fasco, dass Wandel und Veränderung der Medien neue Möglichkeiten eröffneten, aber auch mit Problemen einhergehen könnten. Ob wir dabei eher das Gute oder das Schlechte, die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede sehen würden, sei eine Frage der Perspektive. Er resümierte, dass es zwischen Ost- und Westdeutschen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gäbe und kam zu dem Fazit: „Wir sind ein Volk mit vielen Communities.“
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